Bianca Becks-Maier, Leiterin der Caritas Sozialstation Senden.
"Welche Position vertritt der Caritasverband beim Thema Leiharbeit und löst diese langfristig den Arbeitskräftemangel in der Pflege?"
Christian Germing, Vorstand:
Auch im Caritasverband nutzen wir Leiharbeit. Dies betrifft unsere Wohnhäuser für Menschen mit Behinderung. Dort haben wir derzeit mehrere vakante Stellen. Um die Belastung der Kolleginnen und Kollegen zu mindern, nehmen wir Leiharbeit in Anspruch. Anders als in der ambulanten Pflege, wo wir die Zahl der Patienten an das verfügbare Personal anpassen können, müssen wir in den Wohnhäusern an 365 Tagen im Jahr die Versorgung der Bewohner sicherstellen. Wenn wir vakante Stellen nicht besetzen, führt dies zu einer enormen Belastung der verbleibenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
In dieser Situation haben wir uns dann im Einvernehmen mit der Mitarbeitervertretung für den Einsatz von Leiharbeit entschieden. Dabei bin ich persönlich überhaupt kein Freund dieses Modells. Leiharbeit ist teuer und löst nicht das eigentliche Problem!
Ich finde, Leiharbeit hat ihre Berechtigung, wenn es darum geht, kurzfristig Personallücken zu überbrücken. Inzwischen wird Leiharbeit aber immer mehr zu einer dauerhaften Erscheinung. Dabei löst die Leiharbeit nicht das eigentliche Problem. Das Grundproblem ist der Arbeitskräftemangel im Sozial- und Gesundheitswesen. Wir haben zu wenig Menschen, die sich für einen Beruf in der Pflege entscheiden und eine riesige Nachfrage nach Pflegekräften. Leiharbeit ändert an diesem Mangel ebenso wenig wie die Zahlung von Ablöseprämien. Als einzelne Einrichtung mag es mit diesen Instrumenten vielleicht kurzfristig gelingen, mehr Personal zu bekommen. An der Gesamtsituation ändert es aber nichts und führt am Ende in einen Teufelskreis mit gegenseitiger Überbietung. Am Ende zahlen die Einrichtungen oder die Pflegebedürftigen den Preis.
In unserer Branche wird der Ruf nach einem Verbot der Leiharbeit immer lauter. Ich bin da eher skeptisch. Zum einen sind die rechtlichen Hürden für ein solches Verbot hoch. Und zum anderen kann Leiharbeit als kurzfristige Überbrückung durchaus sinnvoll sein. Kritisch sehe ich allerdings, dass sich die Leiharbeitsunternehmen nicht an der Pflegeausbildung und deren Finanzierung beteiligen. Wenn wir Menschen für eine Ausbildung in der Pflege gewinnen wollen, dann brauchen wir auch Ausbildungsbetriebe. Wir sehen schon heute, dass sich Einrichtungen mit Personalengpässen schwertun, Ressourcen für die Praxisanleitung von Auszubildenden freizustellen. Wenn die Betriebe schon nicht ausbilden, dann sollen sie sich zumindest ab der Finanzierung der Pflegeausbildung beteiligen!
Aktuell entscheiden sich noch immer viele Einrichtungen für Leiharbeit, bevor Betten leer stehen oder die Belastungen für die verbleibenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unerträglich wird. Ich könnte mir aber vorstellen, dass dies in Zukunft weniger wird, da die wirtschaftlichen Probleme der Einrichtungen größer werden. Und Leiharbeit ist für die Einrichtungen teuer! Es sind ja nicht nur die Mehrkosten für die Mitarbeiter von bis 1.000 € im Monat, die uns in Rechnung gestellt werden. Die Firmen selbst wollen Geld verdienen und die Mehrsteuer von 19 % kommt ebenfalls dazu. Im Ergebnis kostet Leiharbeit dann fast doppelt so viel wie ein eigener Mitarbeiter. Gleichzeitig erkennen die Pflegekassen bei Vergütungsverhandlungen nur unserer tariflichen Personalkosten an. Die Mehrkosten der Leiharbeit werden nicht finanziert. Leiharbeit kann sich ein Träger nur erlauben, wenn er Gewinne macht.
Wenn wir über eine Lösung nachdenken, sollten wir uns fragen, warum wechselt überhaupt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter zu einer Leiharbeitsfirma? Ein Argument ist sicherlich die Verdienstmöglichkeit. Gerade Berufseinsteiger können durch Leiharbeit oft deutlich mehr verdienen als nach Tarif. Es gibt aber auch Pflegekräfte, die wegen der Arbeitsbedingungen in die Leiharbeit wechseln. Aus Krankenhäusern ist bekannt, dass Leiharbeiter sich die Schichten auswählen können und bewusst nicht mehr am Wochenende arbeiten. Das Angebot von flexiblen und verlässlichen Arbeitszeiten ist daher ein entscheidender Punkt, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu binden. Mit der neuen Dienstvereinbarung zur Arbeitszeitregelung versuchen wir im Caritasverband dies weiter und besser zu ermöglichen. Es gibt sicherlich auch berechtige Kritik an der Dienstvereinbarung und ihren Regelungen. Aber erstmals führen wir damit verbindlich ein Ausfallmanagement ein. Dies ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt zu mehr Verbindlichkeit und Planbarkeit!
Gesellschaftspolitisch müssen wir dringend darüber nachdenken, wie wir den steigenden Pflegebedarf in einer älter werdenden Gesellschaft lösen wollen. Ich halte dies neben dem Klimawandel für eines der drängendsten politischen Fragen.